Rezension

Erinnerung an DDR-Alltag

Friedbert Hähnels Buch „Der wundersame Alltag im volkseigenen Betrieb“

Heute, mehr als zwanzig Jahre nach der Friedlichen Revolution, dem Ende der DDR und der Deutschen Einheit verschwimmen die Bilder vom Alltag in der DDR immer mehr. Die Erinnerungen sind längst überschrieben mit Kommentaren von unberufenen Kritikern einerseits und von „Verklärern“ andererseits. Der Dresdner Autor Friedbert Hähnel hat ein kleines Buch veröffentlicht, das sich von beiden Varianten des Rückblicks unterscheidet. In „Der wundersame Alltag im volkseigenen Betrieb“ hat er seine Erinnerung an Alltag in Beruf und Familie aufgeschrieben und nichts hinzuerfunden. Dafür berichtet er, wie es zuging in einem volkseigenen Betrieb. Hähnel täuscht auf den 150 Seiten seines Buches nicht vor, ein alles umfassendes Bild geben zu wollen.

Dafür bleibt der Autor bei sich und erzählt den Lesern, wie er nach einem Studium der Kraftfahrzeug-, Land- und Fördertechnik 1978 Abteilungsleiter Material- und Ersatzteilwirtschaft im Verkehrs- und Tiefbaukombinat Dresden wurde und es acht Jahre auf diesem „heißen Stuhl“ aushielt. Schon die Namen und Bezeichnungen von Studium, Betrieb und Tätigkeit klingen wie Nachrichten aus einer anderen Welt. Als man Hähnel in dieser Zeit anbot, vom stellvertretenden Abteilungsleiter zum Abteilungsleiter aufzurücken, da war dies ein Schock für ihn. Abgesehen davon, dass er dazu der SED hätte beitreten müssen, wollte er diese Beförderung in der DDR-Welt des Mangels – vor allem von Ersatzteilen – um keinen Preis. Aber wie das dem Oberchef klarmachen? Das Buch bietet auch Erinnerungen, die nicht so fremd wirken. Etwa an Abteilungs- und Brigadefeiern, die in Alkoholräuschen endeten. Bevor der Alkohol dafür sorgte, dass in den Köpfen das Licht ausging, wurde gebaggert, was das Zeug hielt. Aus Mangel an Frauen in einem Baubetrieb wurden auch die weniger attraktiven zu Objekten heißer Begierde. Diese Frauen waren gut beraten, sich im nüchternen Zustand ihrer „Kavaliere“ keine Fortsetzung zu versprechen.

Hähnel hat ein gutes Gedächtnis und vor allem, als Beteiligter sieht er keinen Grund, die Jahre im Volkseigenen Betrieb aus seinem Leben zu streichen. Es war sein Leben. Ein verfluchtes, beengtes, aufreibendes, trauriges Leben und dann wieder auch ein fröhliches, abenteuerliches, geselliges. Dass der Autor in den achtziger Jahren immer mehr in seelische Not kommt, seinen Job und seine private Gesinnung in Einklang zu bringen, erzählt er auch. Er kündigt. In der DDR ein ungewöhnlicher Schritt, für den die Behörden keine Beispiele hatten. Dass er damit – nach einem schweren Übergang in die Selbständigkeit – sein Glück machte, das erwies sich erst mit der Deutschen Einheit. Heute leitet Hähnel eine eigene Firma und ist erfolgreicher Bauüberwacher.

Wie Friedbert Hähnel über seine Jahre im Volkseigenen Betrieb berichtet, ist nicht Literatur geworden, aber ein empfehlenswertes Buch. Die Empfehlung steckt ist in der Genauigkeit und Ehrlichkeit des Erinnerns an ein Stück DDR-Alltagsgeschichte, nicht getrübt von vorschnellen Urteilen und ungerechtfertigten Verklärungen. Ein Buch für jene, die diese Erfahrungen mit ihm teilen, und für jene, die wissen wollen, wie es wirklich war.

Michael Hametner
24. April 2012

Anmerkung des Autors:
Michael Hametner ist als Literaturredakteur beim MDR KULTUR tätig.